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Immanuel Kant, gesprochen von Gerfried Horst
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Kurze Informationen über das Hörbuch

Sprecher: Gerfried Horst
Quellenangabe: Kant’s gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen
Akademie der Wissenschaften. Band VIII, S. 341—386
Tonmeister: Martin Freitag
Aufnahme: Berlin, Dezember 1999
Produktion: Günter Adam Strößner
Illustration: Altersportrait Immanuel Kant · Gemälde von Gottlieb Doebler, 1791 © AKG Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin

(P) 2000 Universal Music GmbH, Hamburg

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In der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft vergleicht Kant seine philosophische Denkweise mit den Gedanken des Kopernikus, der entdeckte, dass nicht die Sonne sich um die Erde dreht, wie es uns erscheint, sondern die Erde um die Sonne. In gleicher Weise hat Kant ent­deckt, »dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie uns erscheinen, … und als Erschei­nungen nicht an sich selbst, sondern nur in uns existieren können« (Kritik der reinen Vernunft, Transzendentale Elementarlehre, Erster Teil: Die transzendentale Ästhetik, § 8). Die Din­ge sind in ihrer Existenz von der Art und Weise abhängig, wie wir sie anschauen. Sie erscheinen uns in Raum und Zeit, weil das die Formen unseres Anschauungsver­mögens sind, ohne die uns eine Anschauung von Dingen nicht möglich ist. Nicht wir sind also in der Zeit; die Zeit ist in uns. Die objektive Welt, wie wir sie erkennen, gehört nicht dem Wesen der Dinge an sich selbst an, sondern ist deren bloße Erscheinung, bedingt durch die Formen, die a priori im menschlichen Intellekt (d. h. im Gehirn) liegen. Daher »kann man sagen, Kants Lehre gebe die Einsicht, dass der Welt Ende und Anfang nicht außer, sondern in uns zu suchen sei« (Arthur Schopenhauer, Kritik der Kantischen Philosophie).
Um die Welt und sich selbst richtig begreifen zu können, muss ein Mensch seine gewöhnliche Denkweise grundlegend än­dern. Diese Revolution der Denkart, wie Kant sie nannte, soll nicht nur eine theoreti­sche Überlegung sein, sondern erfordert eine praktische Umänderung der Denkart des einzelnen Menschen. Kant fordert die Menschen auf, Mut zu fassen, die Schuld an den Mühseligkeiten des Lebens nicht auf das Schicksal zu schieben, sondern in sich selbst zu suchen und sich durch Selbst­besserung zu helfen. Durch Auf­klärung soll der Mensch aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit herauskom­men und lernen, sich seines eigenen Ver­standes zu bedienen. Das geschieht nach Kants Auffassung am besten in einer freiheitlieh, nämlich republikanisch verfassten Gesellschaft, die sich selbst aufklärt. Dabei meint er, dass es nicht genüge, an einer gesetzmäßigen bürgerlichen Verfassung un­ter einzelnen Menschen in einem Staat zu arbeiten, sondern dass ein Staat auch mit den anderen Staaten gesetzlich geregelte Bezie­hungen aufnehmen müsse. So wie die Menschen durch die Not gezwungen wur­den, in einen gesetzmäßigen bürgerlichen Zustand zu treten, so glaubt Kant, dass die Natur auch die Staaten durch die Kriege, durch Not und Verwüstung dazu treibe, »aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinauszu­gehen und in einen Völkerbund zu treten, wo jeder, auch der kleinste, Staat seine Sicherheit und Rechte, nicht von eigener Macht, oder eigener rechtlichen Beurteilung sondern allein von die­sem großen Völkerhunde … erwarten könnte« (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1783).
Kant verfolgte mit gespannter Aufmerk­samkeit den Unabhängigkeitskrieg der Verei­nigten Staaten Nordamerikas und die Ereig­nisse der französischen Revolution, die er als Experiment betrachtete, die Idee einer vollkommenen Staatsverfassung zu verwirk­lichen. Er freute sich innig darüber, dass Preußen im April 1795 durch den in Basel abgeschlossenen Sonderfrieden aus dem Koalitionskrieg der europäischen Mächte gegen Frankreich ausschied. Wenige Monate später erschien in Königsberg seine Abhandlung Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in der Kant seine Gedanken zu Krieg und Frieden, die er schon seit 1783 in mehreren Auf­sätzen vereinzelt dargelegt hatte, systema­tisch zusammenfasste.
»Kants Stil trägt durchweg das Gepräge eines überlegenen Geistes, echter, fester Eigentümlich­keit und ganz ungewöhnlicher Denkkraft; der Charakter desselben lässt sich vielleicht treffend bezeichnen als eine glänzende Trockenheit, vermöge welcher er die Begriffe mit großer Sicherheit fest zu fassen und herauszugreifen, dann sie mit größter Freiheit hin- und herzu­werfen vermag zum Erstaunen des Lesers« (Arthur Schopenhauer, Kritik der Kantischen Philosophie).
Der von Kant vorgelegte philosophische Entwurf Zum ewigen Frieden ist nicht eine Utopie über einen ewigen Friedenszustand, kein süßer Traum vom Frieden, sondern die Darlegung einer Aufgabe, die gelöst werden kann, die Beschreibung des Weges, der zum ewigen Frieden führt. Der Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist das unveränderliche Wesen des Menschen, die »Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freien Verhält­nis der Völker unverhohlen blicken lässt …« (Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frie­den). Jedoch meint Kant: »Die Natur will unwiderstehlich, dass das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte« (Erster Zusatz: Von der Garantie des ewigen Friedens). Die Entwick­lung der Geschichte in den letzten 200 Jahren scheint Kant Recht zu geben. Zu Kants Lebzeiten, am Ende des 18. Jahr­hunderts, führte die Erfindung der Dampf­maschine zur ersten wirtschaftlichen Revo­lution, zur Industrialisierung, und dann die Einführung der Elektrizität am Ende des 19. Jahrhunderts zu einem weiteren ungeheu­ren, weltweiten Wirtschaftswachstum. Bei­des waren Umbruchperioden, in deren Folge um die Machtverteilung in der Welt ge­kämpft wurde, zu Beginn des 19. Jahrhun­derts in den Napoleonischen Kriegen und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den beiden Weltkriegen. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Völkerbund gegründet; nach dem zweiten Weltkrieg entstand die Organisation der Vereinten Nationen, deren Aufgabe es ist, den Frieden in der Welt zu bewahren. Heute leben wir in einer weltwei­ten Informationsgesellschaft, in der sich bewahrheitet, was Kant schon vor über 200 Jahren schrieb: »Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig über­handgenommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Welt­bürgerrechts keine phantastische und überspann­te Vorstellungsart des Rechts, sondern eine not­wendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentli­chen Menschenrechte überhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinu­ierlichen Annäherung zu befinden, nur unter die­ser Bedingung schmeicheln darf« (Dritter Definitivartikel zum ewigen Frieden).
Im siebenten Satz seines Aufsatzes Idee zu ei­ner allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1783) stellt Kant die Frage, »ob nicht die Zwietracht, die unserer Gattung so natürlich ist, am Ende für uns eine Hölle von Übeln, in einem noch so gesitteten Zustande vorbereite, indem sie vielleicht diesen Zustand selbst und alle bisherigen Fortschritte in der Kultur durch barbarische Verwüstung wieder vernichten werde …«. So ist es am Ende des zweiten Weltkriegs der von Kant so geliebten Stadt Königsberg ergangen, die völlig zerstört wurde und von der nicht einmal der Name mehr übrig ist. Seit dem Ende des 20. Jahr­hunderts leben wir in einer neuen weltweiten Revolution, die als Globali­sierung bezeichnet wird. Wenn daraus nicht eine neue ungeahnte Katastrophe, sondern vielmehr eine weltbürgerliche Gesellschaft im Sinne Kants entstehen soll, dann darf man hoffen, dass die wirtschaftliche und gesellschaftliche Revolution der Globali­sierung von einer »Revolution in der Ge­sinnung im Menschen«, einer »Umwandlung der Denkungsart« begleitet wird, kraft deren der Mensch »durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung … und Änderung des Herzens« ein neuer Mensch wird (Kant, Die Religion innerhalb der Gren­zen der bloßen Vernunft, 1793). »Dass der Mensch sich bewusst ist, er könne dieses, weil er es soll: das eröffnet in ihm eine Tiefe göttlicher Anlagen, die ihn gleichsam einen heiligen Schauer über die Größe und Erhabenheit seiner wah­ren Bestimmung fühlen lässt« (Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie rich­tig sein, taugt aber nicht für die Praxis, 1793).

© 2000, 2019 Gerfried Horst

Zum Text

Kant hat seine Friedensschrift so aufgebaut, wie es der Form eines zu seiner Zeit übli­chen Staatsvertrages entsprach, mit sechs Präliminarartikeln im ersten und drei Defi­nitivartikeln im zweiten Abschnitt, zwei Zu­sätzen und einem Anhang. Die Gliederung des Werkes wird unterbrochen durch die zahlreichen Anmerkungen Kants, in denen sein das ganze Gebiet menschlicher Kennt­nisse umfassendes Wissen und sein Staunen über die Wunder der Welt zum Ausdruck kommen. Einzelne längere Anmerkungen stellen selbständige Essays über die jeweili­gen Sachgebiete dar. Um den Zusammen­hang nicht zu unterbrechen, werden sie in einzelnen Fällen erst am Ende des Satzes oder Absatzes vorgelesen, in dem sie ange­führt sind. Im Interesse der Verständlichkeit sind manche Altertümlichkeiten des Stils korrigiert worden. Die von Kant häufig gege­benen lateinischen Definitionen bestimmter Begriffe und einige lateinische Zitate sind ausgelassen worden, ausgenommen diejeni­gen, die wesentlicher Bestandteil des Textes sind. Soweit deren Bedeutung nicht schon von Kant selbst angegeben wird, wie z. B. am Ende des ersten Abschnitts »Verbotgesetze (leges prohibitivae)«, werden sie hier in der Reihenfolge ihres Auftretens im Text über­setzt:

Causa solitaria non iuvat – Die alleinige Ur­sache kann keinen Beistand leisten (d. h. kann nicht zu einer anderen Ursache unter­stützend hinzukommen, weil sie selbst die alleinige Ursache ist).
Fac et excusa – Tue (etwas) und rechtfertige es (anschließend).
Bonus eventus – günstiger Ausgang, Erfolg
Si fecisti, nega – Wenn du (etwas) getan hast, streite (es) ab.
Divide et impera – Teile und herrsche.
Reservatio mentalis – (geheimer) Gedanken­vorbehalt
Status quo – gegenwärtiger Zustand
De fait (franz.) – faktisch, tatsächlich
De droit (franz.) – rechtmäßig, zu Recht
Probabilismus – bes. vom Jesuitenorden ver­tretene Lehre, die eine Handlung schon für erlaubt erklärt, wenn sich positive Gründe dafür anführen lassen, obwohl mindestens genauso gute Gründe für das Gegenteil spre­chen.
Peccatum philosophicum – philosophische Sünde, Irrtum, Fehler
Publizität – Bekanntmachung

Gerfried Horst wurde in Marburg geboren. Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasium Philippinum studierte er Rechtswissenschaft in Marburg, Berlin und Edinburgh. Er war als Wirtschaftsjurist in internationalen Musikfirmen tätig und beschäftigte sich daneben mit Philosophie und dem tibetischen Buddhismus. Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben organisiert er ab 2008 Reisen nach Kaliningrad/ Königsberg, um dort gemeinsam mit Kant-Freunden aus Russland und anderen Ländern an jedem 22. April den Geburtstag Immanuel Kants zu feiern. 2011 gründete er zusammen mit anderen Kant-Freunden die internationale Gesellschaft Freunde Kants und Königsbergs e.V. (www.freunde-kants.com), die die Tradition der 1805 von den Freunden Kants in Königsberg begründeten Gesellschaft der Freunde Kants fortsetzt, die Erinnerung an Immanuel Kant in seiner Heimatstadt lebendig zu erhalten. 

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