Kant-Jahr 2024

Europäische Kant-Wege

I. Russische Föderation

1. Kaliningrad und Kaliningrader Oblast

1.1. Immanuel Kant ist am 22. April 1724 in Königsberg geboren und am 12. Februar 1804 ebenda gestorben. Über 70 Jahre seines fast 80 Jahre währenden Lebens hat er in seiner Heimatstadt verbracht. Königsberg, das heutige Kaliningrad, ist deshalb der wichtigste Kant-Ort. Es gibt dort derzeit die folgenden Kant-Gedenkstätten:

  • das Kant-Grabmal am Königsberger Dom auf der Kneiphof-Insel, die heute Kant-Insel heißt;
  • das Kant-Museum im Turm des Doms;
  • das Kant-Denkmal von Christian Daniel Rauch vor dem Gebäude der Neuen Universität am früheren Paradeplatz;
  • eine Gedenktafel am unteren Lenin-Prospekt (früher Vorstädtische Langgasse) an einem Haus, in dessen Nähe Kants Geburtshaus stand;
  • eine Nachbildung von Hut und Stock Kants auf einer Steinbank an der Stelle (auf dem Gelände des heutigen Weltozeanmuseums), bis zu der Kant seine gewöhnlichen Spaziergänge auf dem sogenannten Philosophendamm gemacht haben soll;
  • eine Kant-Figur im „Packhaus“, einem zum Weltozeanmuseum gehörenden Gebäude;
  • eine Tafel mit dem bekannten ersten Satz des Beschlusses der Kritik der praktischen Vernunft auf Deutsch und Russisch war an der Ruine der Schlossmauer angebracht und befindet sich jetzt im Depot des Kaliningrader Gebietsmuseums für Geschichte und Kunst.

1.2. Etwa von 1747 bis 1750 war Kant Hauslehrer bei dem reformierten Prediger Daniel Andersch in Judtschen (ab 1938 Kanthausen, ab 1946 Wessjolowka) in der Nähe von Insterburg/Tschernjachowsk. Das Pfarrhaus, in dem Kant wohnte, ist im August 2018 als Kant-Museum eröffnet worden. 

1.3. Von Königsberg aus hat Kant in den Jahren 1754/1755 einen jungen Grafen Keyserlingk auf dem unweit von Königsberg gelegenen Schloss WaldburgCapustigall unterrichtet, das heute nicht mehr existiert. 

1.4. Eine Meile nördlich von Königsberg lag das Forsthaus Moditten (https://de.wikipedia.org/wiki/Forsthaus_Moditten), wo sich Kant während der Universitätsferien öfters bei dem Oberförster Wobser aufhielt. Dort verfasste er 1764 seine bekannte Schrift „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“.

1.5. Ein weiterer wichtiger Kant-Ort ist das ehemalige Rittergut Groß-Wohnsdorf (seit 1946: Kurortnoje) der Kant-Freunde Friedrich Leopold und Carl Wilhelm Freiherr von Schrötter; Kant soll dort in dem heute noch als Ruine vorhandenen Ordensturm gewohnt haben.

1.6. Kant besuchte mit seinem englischen Freund Joseph Green mehrmals die an der Ostsee gelegene Hafenstadt Pillau (heute Baltijsk).

1.7. Im Herbst 1765 weilte Kant einige Wochen lang bei seinem Freund General Daniel Friedrich v. Lossow auf dessen Gut Kleszowen (1938 – 1945 Kleschauen) bei  Goldap auf (heute Kutusowo, Osjorsker Landkreis im Kalininrader Oblast). Er arbeitete dort an seiner Schrift „Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik“, die er nach seiner Rückkehr nach Königsberg am 31. Januar 1766 der Zensur vorlegte.

2. St. Petersburg

2.1 Mit einem Brief vom 14. Dezember 1758 nach St. Petersburg bat Kant die russische Zarin Elisabeth, ihn zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik an der Königsberger Universität Albertina zu ernennen, erhielt aber keine Antwort darauf. Während des Siebenjährigen Krieges war Ostpreußen von 1768 bis 1763 von Russland annektiert.    

2.2.  Ein Freund Kants, der spätere Stadtpräsident von Königsberg Theodor Gottlieb v. Hippel, weilte 1760/61 in St. Petersburg und war von der Stadt und dem Leben dort tief beeindruckt.   

2.2.  Der Weg von St. Petersburg nach Westeuropa und der Weg von Westeuropa nach St. Petersburg, der Hauptstadt des russischen Reichs, führte meist über Königsberg. Auf diesem Wege besuchten Reisende immer wieder den berühmten Professor Kant, so z. B. am 18. Juni 1789 der russische Historiker und Schriftsteller Nikolai Karamsin.

2.3 An der Kaiserlich-Russischen Akademie der Wissenschaften war der Mathematiker und Physiker Leonhard Euler (1707-1783) tätig, dem Kant 1749 sein Erstlingswerk Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte schickte. 1736 hat Euler das topologische Königsberger Brückenproblem aufgestellt und mit einer Methode gelöst, die heute der Graphentheorie zugerechnet wird.

2.4.  Am 28. Juli 1794 wurde Kant wegen seiner wissenschaftlichen Verdienste zum auswärtigen Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg ernannt. Im Archiv der Kaiserlich-Russischen St. Petersburger Akademie der Wissenschaften (St. Petersburg, Universitätsufer 1) befinden sich der Brief des Konferenz-Sekretärs der Akademie Johannes Euler an Kant vom 29. August 1794, in dem ihm seine Ernennung zum auswärtigen Mitglied der Akademie mitgeteilt wurde, und Kants Dankesbrief vom 12. Juli 1797. Das Gebäude der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg (Universitätsufer 5) und das gleich danebenliegende Archiv bieten sich daher als Kant-Orte auf dem Europäischen Kant-Weg an.

2.5. In der Nationalbibliothek Sankt-Petersburg wird ein Manuskript der Vorlesungen Kants unter dem Titel «Anthropologie Sankt-Petersburg» aufbewahrt.

II. Deutschland

1. Berlin

In Berlin erschien von 1783-1796 die Berlinische Monatsschrift, das wichtigste Organ der deutschen Aufklärung, die 15 Aufsätze Kants erstveröffentlichte, darunter den Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In Berlin korrespondierte Kant u. a. mit dem Mathematiker Johann Heinrich Lambert; mit dem preußischen Unterrichtsminister Karl Abraham Freiherr v. Zedlitz, dem er die Kritik der reinen Vernunft widmete; mit seinem Schüler Marcus Herz, der 1770 in Königsberg Respondent seiner Inauguraldissertation war; mit dem Philosophen Moses Mendelssohn; mit den Herausgebern der Berlinischen Monatsschrift Friedrich Gedike und Johann Erich Biester; mit seinem Schüler Johann Gottfried Karl Kiesewetter, der Kants Philosophie popularisierte. In Berlin regierte der preußische König Friedrich II., „der Große“, der die Aufklärung begünstigte und Kant 1770 zum Professor an der Königsberger Universität Albertina ernannte. Berlin und Königsberg waren die beiden Hauptstädte der deutschen Aufklärung.   

2. Nürnberg

Aus Nürnberg stammten die Eltern von Kants Mutter Anna Regina Reuter. Ihr Vater Caspar Reuter wurde im April 1670 in Nürnberg geboren, kam wahrscheinlich als wandernder Handwerksgeselle nach Königsberg, heiratete 1696 eine einheimische Riemermeisterstochter, wurde selbst Riemermeister und erwarb im Jahr 1700 das Kleinbürgerrecht in Königsberg-Kneiphof. Urgroßeltern Immanuel Kants mütterlicherseits: Friedrich REUTER, geb. 05.04.1649 in Nürnberg, Schwarz- u. Schönfärber, † März 1721 in Nürnberg, Heirat am 19.07.1669 in Nürnberg mit Anna Maria NOTHELFER, Okt. 1641 in Nürnberg, † März 1683 in Nürnberg.

3. Würzburg

In Würzburg wurde 1734 Kants langjähriger Diener Martin Lampe geboren (gest. 1806 in Königsberg). Indem er „von früh um halb fünf Uhr bis in den späten Abend hinein, vom An- bis zum Auskleiden, sämtliche Dienstbarkeiten getreulich versah, überdies den Gästen auftischte, Bittsteller empfing oder abwies und stets mit dem Schirm parat stand, wenn Kant auch bei Regen zum allfälligen Spaziergang rüstete“ (Jochen Hieber, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.01.2016), sorgte Martin Lampe dafür, dass Kant sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte. In Würzburg gab es deshalb 2018 eine Ausstellung über ihn und man erwägt zudem, dort ein Denkmal für ihn zu errichten.

4. Lüneburg

Das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg verfügt über die weltweit größte Kant-Sammlung (https://www.landeszeitung.de/blog/lokales/2603418-auf-dem-weg-zur-kantstadt). Darunter befinden sich Originalschriften Kants und Erstausgaben bedeutender Werke.

5. Münster

In Münster/Westfalen liegt Johann Georg Hamann begraben, der lebenslange Freund und Kritiker Immanuel Kants. Sein Nachlass befindet sich in der dortigen Universitäts- und Landesbibliothek (https://www.ulb.uni-muenster.de/bibliothek/aktuell/nachrichten/2018-0604_buchvorstellung-hamanns-fliegender-brief.html). Als    Ort,    der Informationen zu Kant bietet,  sollte deshalb auch Münster  im Rahmen der Europäischen Kant-Wege berücksichtigt werden.

III. Polen (d.h. der heutige polnische Teil Ostpreußens)

  1. Von 1750 oder 1751 bis 1754 war Kant Hauslehrer bei dem Rittergutsbesitzer Bernhard Friedrich v. Hülsen in Groß-Arnsdorf (heute Jarnoltowo/Polen). Das Gutshaus ist 1945 abgebrannt. An der alten Schule wurde 1994 eine Gedenktafel angebracht, die an den Aufenthalt Kants erinnert. In dem Ort haben Einwohner ein kleines Kant-Museum eingerichtet.
  2. Im Herbst 1765 hielt sich Kant einige Wochen lang bei seinem Freund General Daniel Friedrich v. Lossow auf dessen Gut Kleszowen bei Goldap auf. Es ist anzunehmen, dass er von da aus auch die Stadt Goldap (heute in Polen) besucht hat.
  3. Mit seinem Freund Robert Motherby besuchte Kant Anfang der 1770er Jahre einmal den Bürgermeister von Braunsberg (heute: Braniewo) Schorn.

IV. Litauen (d.h. das zu Ostpreußen gehörende Memelland)

  1. Immanuel Kants Vater Johann Georg Kant wurde 1682 in Memel (heute: Klaipeda) geboren. Sein Großvater Hans Kant (1640-1715) verbrachte sein ganzes Leben in Memel. Sein Urgroßvater Richard Kant (ca. 1610 – ca. 1670) war in Werden bei Heydekrug (heute: Šilutė) im Memelland ansässig.  
  2. Kant schätzte die Litauer hoch. Das ergibt sich aus seiner in Königsberg 1800 erschienenen „Nachschrift zu Christian Gottlieb Mielckes Littauisch-deutschem und deutsch-littauischem Wörterbuch“ (Kants Werke, Akademie Textausgabe Band VIII, S. 443-446).

V. Lettland

  1. Die bedeutendsten Schriften Kants, Kritik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft wurden im Verlag von Johann Friedrich Hartknoch in Riga erstveröffentlicht. Erstdrucke der Kantausgaben befinden sich in Riga in der Nationalbibliothek Lettlands und in der Akademischen Bibliothek der Universität.
  2. Kant stand in ständigem Briefwechsel mit Freunden und Bekannten in Riga, so mit seinem Verleger Johann Friedrich Hartknoch und dessen gleichnamigem Sohn, mit Johann Gotthelf Lindner (1729-1776), der in Königsberg an der Albertina studiert hatte, ab 1753 Lehrer an der Domschule in Riga und 1755-1765 ihr Rektor war und dann nach Königsberg zurückkehrte, sowie mit dem Rigaer Kaufmann Johann Christoph Behrens, der auch mit Kants Königsberger Landsmann Johann Georg Hamann befreundet war. Hamann war 1752-1757 erst Hauslehrer in Livland und dann Mitarbeiter im Handelshaus Behrens in Riga. Johann Gottfried Herder, Schüler Kants an der Albertina, war von 1764-1769 in Riga als Lehrer und Pfarrer tätig. 
  3. Ein beträchtlicher Teil der Pastoren, Ärzte und Juristen in Kurland im 18. Jahrhundert stammte aus Ostpreußen. Ein Beispiel dafür ist Johann Heinrich Kant, der jüngere Bruder Immanuel Kants, der von 1758 bis 1775 Hauslehrer in Kurland und ab 1775 erst Konrektor und später Rektor der Lateinschule in Mitau (heute: Jelgava) und danach Pastor in Alt-Rahden (heute: Vecsaule) war. In seinem Buch „Kant und Königsberg“ (Göttingen 1949) schrieb Kurt Stavenhagen: „In dem ostpreußisch-baltischen Raum werden die kulturellen Schlüsselstellungen wie in ein und demselben Lande besetzt, und es ist ein berufliches Kommen und Gehen, als ob keine Grenzen und kein Litauen dazwischenlägen. Es bildet sich ein sich mit der Zeit verdichtendes und verknotendes Geflecht individueller und ererbter persönlicher Beziehungen, das sich durch Einheirat, Erwerb von Immobilien immer eigenständiger stabilisiert.“

VI. Estland

  1. Viele Studenten aus Kurland und Livland und somit auch aus dem heutigen Estland studierten in Königsberg. Ein Beispiel dafür ist der Dichter und zeitweise Freund Goethes Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), der in Dorpat (heute: Tartu) aufwuchs und studierte, dann nach Königsberg ging und Kants Vorlesungen hörte. Als Kant 1770 zum ordentlichen Professor ernannt wurde, verfasste Lenz ein Preisgedicht auf ihn.
  2. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Kant Schüler aus dem heutigen Estland hatte und wie er sich um sie kümmerte, ist seine Schrift: Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben des Hochwohlgebornen Herrn, HERRN Johann Friedrich von Funk, in einem Sendschreiben an die Hochwohlgeborne Frau, FRAU Agnes Elisabeth, verwitt. Frau Rittmeisterin von Funk, geborne von Dorthösen, Erbfrau der Kaywendschen und Kahrenschen Güter in Kurland, des selig Verstorbenen Hochbetrübte Frau Mutter (1760).

VII. England – Hull

Kants enge Freunde, der Kaufmann Joseph Green (1727-1786) und dessen Teilhaber und Nachfolger Robert Motherby (1736-1801), waren aus Hull/England nach Königsberg eingewandert. Ihre Handels- und persönlichen Beziehungen mit Hull blieben von Königsberg aus bestehen. Kant hatte einen Großteil seines Vermögens in die Firma von Green & Motherby investiert und partizipierte so an deren englischen Handelsbeziehungen.

VIII.Schottland – Edinburgh

Kant glaubte, seine Vorfahren seien aus Schottland nach Ostpreußen eingewandert. Tatsache ist, dass mehrere seiner Familienangehörigen mit eingewanderten Schotten verheiratet oder verschwägert waren und zu seinem Freundeskreis schottische Kaufleute gehörten. Seine Schüler und Freunde Johann Benjamin Jachmann (1765-1832) und William Motherby (1776-1847) studierten in Edinburgh Medizin und praktizierten dann als Ärzte in Königsberg. Kant war von dem schottischen, in Edinburgh lebenden Philosophen David Hume (1711-1776) stark beeinflusst.

August 2020

Gerfried Horst
FREUNDE KANTS UND KÖNIGSBERGS e.V.

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