Geschichte

Rezension des Buches Monika Boes (Hrsg): Ludwig Goldstein (1867 – 1943) Heimatgebunden, Aus dem Leben eines Königsbergers

Neumann-Redlin von Meding, E.: Titel s.u. Königsberger Bürgerbrief 90 (2017) S. 72

Rezension des Buches Monika Boes (Hrsg):

Ludwig Goldstein (1867 – 1943)
Heimatgebunden, Aus dem Leben eines Königsbergers

Es ist der Autorin Monika Boes zu verdanken, dieses im „Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem“  wiederentdeckte handschriftliche Manuskript in Buchform herausgegeben zu haben. Goldstein schildert hierin in einzigartiger Weise den Zeitgeist der Königsberger Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Goldstein war Sohn eines jüdischen Schneidermeisters und der zum Judentum übergetretenen Maria Retty. Die Studiengänge Kunstgeschichte, Germanistik und Indologie absolvierte er an der Albertina Königsberg. Er promovierte 1896 bei Hermann Baumgart (1843 – 1926) zum Thema Moses Mendelssohn (Tilitzki, S. 385).[1] Als Kunsthistoriker und Journalist wurde er 1906 als Redakteur bei der Hartungschen Zeitung eingestellt. Goldstein gehörte 1901 zu den Gründern des Goethebundes, wurde hier zeitweise der 1.Vorsitzende und wusste diesen „für seine kulturpolitischen Ziele weidlich zu nutzen“  (Tilitzki, S. 385). Auch schrieb er Aufsätze in der „Königsberger Allgemeinen Zeitung“ zu kunsthistorischen  Themen. 1910 wurde er bekannt durch sein Eintreten für die Pressefreiheit, als er sich gegen das Verbot des Theaterstücks „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind aussprach. Schon gegen Ende der 20er Jahre bekam er als Feuilletonchef der Zeitung die zunehmende antisemitische Stimmung in Königsberg zu spüren. 1933 wurde ihm von der Verlagsleitung der Hartungschen Zeitung gekündigt, so dass er zum Nichtstun verdammt und, wie er sich äußerte, „geistig-seelisch zum Tode verurteilt“ war (Boes).[2]  In dieser Isolation schrieb er das jetzt aufgefundene Manuskript. 

Mit der Herausgabe dieses Buches ist ein wahrer Schatz gehoben worden: Das Inhaltsverzeichnis verweist auf ca. 800 Namen von Persönlichkeiten, Vereinen und Gesellschaften aus der Wissenschafts- und Kulturszene Königsbergs. Damit ist das Werk eine Fundgrube für Dissertationen bzw. kulturhistorische Ausarbeitungen, weil zu den jeweiligen Persönlichkeiten und ihren Werken erklärende Details aufgeführt sind. Als Beispiel mag die Freundschaft zu Heinrich Wolff und dessen Frau Elisabeth Wolff-Zimmermann angeführt werden: Wolff kam als 27-jähriger Maler und Graphiker nach Königsberg. “Er arbeitete nicht nach Bildern und Vorlagen, sondern unmittelbar nach der Natur und nach seinen Eingebungen – eine Gepflogenheit, die noch Rembrandt übte, die uns aber völlig abhandengekommen war“ (Boes, S.510). „Wolff ritzte die Landschaft von Angesicht zu Angesicht in Kupfer, wie er sich mit der Platte oder mit dem Stein auch vor den Menschen setzte“ (Boes, S. 510). „Wenn ihm jemand saß, entstanden häufig in einem Zuge zwei Bildnisse, weil seine Gattin, die tüchtige Malerin Elisabeth Wolff-Zimmermann, die gute Gelegenheit mitbenützte. Jeder bildete dann auf seine Art. Er schwarz-weiß. Sie farbig – Wasser- oder Trockenfarben oder beides. Das Glück des Doppelgeschenks wurde auch dem Erzähler zu teil (Abb.). Es waren anregende Stunden, da man sich lebhaft dabei unterhielt“ (S. 511).

Allein über H. Wolff sind im Index über 20 Seiten aufgeführt. Wegen der unmittelbaren Bekanntschaft Goldsteins zu den Persönlichkeiten der Kunst- und Kulturszene dieser Stadt ist das Werk quasi ein Nachschlagwerk von unschätzbarem Wert. Jeweils mehrere Indices gibt es beispielweise zu Lovis Corinth, Felix Dahn, Ludwig Dettmann, Herbert Eulenberg, James Franck (Nobelpreisträger), Jacob Grimm, Otto Harnack, Gerhart Hauptmann, Walther Heymann, Arno Holz, Thomas Mann, Friedrich Lehrs, Gotthold Efraim Lessing, Agnes Miegel, Otto Nicolai, Rainer Maria Rilke, Karl Rosenkranz, Walter Simon, Heinrich Spiro, Paul Stettiner, Oskar Schade, Ernst Wiechert (Dichter, Studienrat), Ernst Wichert( Dichter, Jurist), Emil Walter.  

Es gibt einen weiteren Grund, die Lektüre des Buches zu empfehlen: Ludwig Goldstein war ein sprachgewandter Publizist und Kunsthistoriker. Seine Verhaltensbeobachtungen geben uns einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus. Insofern kann der Leser viel lernen, mit welchen Mitteln (z.B. dem Volksempfänger) es der NSDAP gelungen ist, die Volksmeinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. 

„Enthoben aller seiner Ämter und Tätigkeiten litt er am meisten an der Abkehr seiner bisherigen Freunde“ (Boes, Umschlag). Goldstein schildert die zunehmend schleichende Ausgrenzung nicht nur seiner Person aus der Gesellschaft. Auch hier ein Beispiel: „Der derzeitige Bohnenkönig, Prof. Lahrs, schickte zum 22.IV.36 keine Einladungen mehr an Stettiner und Go. – die einzigen Sündenböcke in Kants Tischgesellschaft. Er tat es stillschweigend, ohne ein Wort der Aufklärung“ (S. 553). 

Was Goldstein selbst anbetraf, hatte es noch 1929 zum Thema `Herausgabe des Biographischen Lexikons für Altpreußen`, geheißen: “Es ist unmöglich, dieses Werk ohne Ihre Mitarbeit in die Welt hinausgehen zu lassen“. Nach 1933 verhinderten „politische Gründe“ eine Teilnahme. Extrem schwer war für Goldstein zu ertragen, wie ehemalige Freunde und auch Nachbarn, ohne zwingenden politischen Druck, selbst die Straßenseite wechselten, um einem Gruß zu entgehen. 

Goldstein analysiert das für ihn Unfassbare, wie selbst die Elite eines Kulturvolks mit seiner 2000-jährigen christlichen Geschichte, trotz einer durchlaufenden „Aufklärung“, dennoch in nur einer Generation in ein mittelalterliches Denken  zurückfiel, das von Neid, Argwohn, Feindseligkeit und Hass gegenüber Andersdenkenden geprägt war. Ganz explizit stellte er sich die Frage, wie es kommen konnte, dass selbst eine so gebildete Kollegin, wie die Dichterin Agnes Miegel, aus „bedingungsloser Hingabe an die Umwälzungen“ dem Nationalsozialismus verfallen konnte. Im Angesicht der Tatsache, auch von ihr ausgeschlossen worden zu sein, dichtete er den Kummer in sich hinein: 

„Keimt ein Glaube neu
Wird oft Lieb und Treu
Wie ein böses Unkraut ausgerauft“
(S. 551 – Reaktion auf das Verhalten Agnes Miegels)

Goldstein starb am 12.07.1943 und erlebte somit nicht mehr den Zusammenbruch Königsbergs. Was uns bleibt, ist ein vom politischen Wandel beeinflusstes Zeitdokument aus dem Leben der untergegangenen Kulturstadt Königsberg.

Abbildung:
Titelblatt des Buches Monika Boes (Hrsg.): Ludwig Goldstein (1867 – 1943)
Heimatgebunden – Aus dem Leben eines alten Königsbergers. Berlin 2015
Die Radierung des Titelblatts stammt von Heinrich Wolff 1927

Literatur beim Verfasser
E. Neumann-Redlin von Meding

Literatur:

[1] Christian Tilitzki: Die Albertus-Universität Königsberg. Bd. 1: 1871 – 1918. Akademie-Verlag Berlin 2012, S. 385

[2] Monika Boes (Hrsg.): Ludwig Goldstein. Heimatgebunden, Aus dem Leben eines alten Königsbergers. Nora-Verlagsgemeinschaft Berlin 2015, hinterer Umschlag

 

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